Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, November 28, 2007

Von Hitler zu bin Laden (Tagesspiegel)

Judenhass
Von Hitler zu bin Laden
Der Kampf gegen die Juden: Islamismus und Nationalsozialismus sind historisch und ideologisch eng miteinander verknüpft. Die Frage, ob Deutschland die aus seiner Nazivergangenheit resultierenden Schlussfolgerungen gezogen hat, beantwortet sich nicht in Sonntagsreden, sondern konkret, findet Matthias Küntzel.
Von Matthias Küntzel 25.11.2007 0:00 Uhr

Die Deutschen sind die Einzigen, die uns den Grund erklären können“, schrieb kurz nach dem 11. September der in Yale lehrende Computerwissenschaftler David Gelernter. „Bin Ladens Terroristen haben versucht, die größte jüdische Stadt in ein Brandopfer zu verwandeln. Die Amerikaner verstehen das nicht: reiner unmotivierter Hass auf die Juden? Deutsche verstehen das sehr wohl.“

Der erste Krieger, der Manhattan mit Selbstmordpiloten zerstören wollte, saß in der Tat in Berlin. „Nie habe ich Hitler so außer sich gesehen wie gegen Ende des Krieges, als er wie in einem Delirium sich und uns den Untergang New Yorks in Flammenstürmen ausmalte“, hielt Albert Speer in seinem Tagebuch fest. „Er beschrieb, wie sich die Wolkenkratzer in riesige brennende Fackeln verwandelten, wie sie durcheinanderstürzten, wie der Widerschein der berstenden Stadt am dunklen Himmel stand.“ Nicht nur Hitlers Fantasie, auch sein Plan, sie zu verwirklichen, erinnert an 2001: Kamikaze- Piloten sollten mit Sprengstoff beladene Kleinstflugzeuge ohne Landevorrichtung in die Wolkenkratzer von Manhattan jagen. Die Konstruktionszeichnungen des im Frühjahr 1944 von Daimler-Benz konzipierten „Amerika-Bombers“ liegen vor.

Die Ekstase, in die Hitler beim Gedanken an das brennende Manhattan geriet, verweist auf das damit verbundene Motiv: Hitler wollte nicht einfach einen Feind bekämpfen. Er wollte Juden töten, um die Menschheit zu befreien. Für ihn, der von der Idee besessen war, den gesamten Zweiten Weltkrieg gegen imaginäre jüdische Mächte zu führen, galten „die USA als jüdischer Staat“ und New York als das Zentrum des Judentums schlechthin. 60 Jahre später wurde der reale Angriff auf das World Trade Center zufällig in Deutschland geplant. Der erste Hamburger 9/11-Prozess brachte Anfang 2003 ein zentrales Motiv der Attentäter um Mohammed Atta an den Tag: „Die glaubten an eine Weltverschwörung der Juden“, berichtete der Zeuge Schahid Nickels, der zu Attas „Koranrunde“ gehörte. „Die dachten, New York sei das Zentrum des Weltjudentums.“ Mitbewohner des Angeklagten Munir al Motassadek berichteten, er habe Hitlers Judenpolitik verteidigt und die bevorstehende „große Aktion“ herbeigesehnt: „Die Juden werden brennen, und am Ende werden wir auf ihren Gräbern tanzen.“ Taucht in Motassadeks Vorfreude auf „brennende Juden“ nicht auch eine Spur der Hitler’schen Ekstase wieder auf?

Ein mörderischer Antisemitismus ist Bestandteil von Al Qaidas Programm. Für Osama bin Laden gelten Amerika und der Westen als von Juden beherrscht; der Klassiker des islamischen Antisemitismus – Saijid Kutbs „Unser Kampf gegen die Juden“ – wird in den Trainingslagern der Dschihadisten gelehrt. Diese Überschneidung der Ideologien hatte Gelernter im Sinn, als er die Deutschen um Erklärung bat. Doch auch historisch sind Islamismus und Nationalsozialismus miteinander verknüpft.

Es war die 1928 in Ägypten gegründete Organisation der „Muslimbrüder“, die den Islamismus als Massenbewegung begründete. Bis heute sind die Muslimbrüder für den Islamismus das, was die Bolschewiki für die kommunistische Bewegung des 20. Jahrhunderts waren: der ideologische Bezugspunkt und der organisatorische Kern, der alle nachfolgenden Tendenzen von Khomeini bis bin Laden maßgeblich inspirierte und bis heute inspiriert. Zwar hatte die britische Kolonialpolitik den Islamismus als Widerstandsbewegung gegen die „kulturelle Moderne“ hervorgebracht und den Ruf nach Wiederherstellung der Scharia- Ordnung provoziert. Doch wurden die Muslimbrüder erst im Zuge ihrer antijüdischen Kampagnen zu einer Massenorganisation: Zwischen 1936 und 1938 stieg ihre Mitgliedszahl von 800 auf 200 000 steil an.

Den Anlass dieser Kampagnen lieferte die verstärkte zionistische Einwanderung nach Palästina. Zielstrebig wurde die Proteste gegen Zionismus antijüdisch radikalisiert. „Nieder mit den Juden“ und „Juden raus aus Ägypten und Palästina“ lauteten die Parolen der Massendemonstrationen, die die Bruderschaft in den ägyptischen Großstädten organisierte. Auf Flugblättern rief sie zum Boykott jüdischer Waren und Geschäfte auf. In ihrer Zeitschrift „Al Nadhir“ erschien eine regelmäßige Kolumne mit der Kopfzeile „Die Gefährlichkeit der Juden von Ägypten“. Darin wurden die Namen und Adressen von jüdischen Geschäftsinhabern und Besitzern angeblich jüdischer Zeitungen aus aller Welt veröffentlicht und alles Böse – vom Kommunismus bis zum Bordell – auf die „jüdische Gefahr“ zurückgeführt. Die Muslimbruderschaft hatte aber von den Nazis nicht nur viele Inhalte übernommen – sie wurde zugleich bis 1939 mit Geldern des Deutschen Nachrichtenbüros in Kairo erheblich unterstützt.

Ihre Propaganda knüpfte an europäische und islamische Quellen an: Erstens galt ihnen Palästina als muslimisches Einflussgebiet, in welchem Juden bestenfalls als „Dhimmis“, als Schutzbefohlene, leben dürften. Zweitens verwiesen sie auf das Beispiel des Propheten Mohammed, der im 7. Jahrhundert sämtliche Juden von Medina tötete oder vertrieb. Drittens agitierten sie mit den antijüdischen Passagen im Koran. Dieser neuartige – europäisch und islamisch vermixte – Judenhass wurde von den Nazis mithilfe eines neuen Instruments geschürt: Allabendlich wurde die Hassbotschaft vom damals leistungsstärksten Kurzwellensender der Welt in Zeesen bei Berlin auf Arabisch, Türkisch und Persisch in die islamische Welt geschickt. Die in Goebbels-Manier gestalteten Programme hatten sich beträchtlicher Beliebtheit erfreut. Zu ihren regelmäßigen Hörern gehörte ein damals noch ganz unbekannter Religionsgelehrter namens Ruhollah Khomeini. Heute greift Ahmadinedschad dessen antisemitische Tiraden auf. Radio Zeesen stellte seinen Sendebetrieb erst im April 1945 ein. Nun verschob sich das antisemitische Zentrum in die arabische Welt.

1945 verübten die Muslimbrüder das bis dahin größte antijüdische Pogrom in der Geschichte Ägyptens: Demonstranten fielen im November in das jüdische Viertel Kairos ein, plünderten Häuser und Geschäfte und steckten Synagogen in Brand. Sechs Menschen wurden getötet, hunderte verletzt. 1946 sorgten sie dafür, dass der als Kriegsverbrecher gesuchte Mufti von Jerusalem, Amin al Husseini, in Ägypten Exil und eine neue politische Wirkungsstätte erhielt. Al Husseini, der Führer der palästinensischen Nationalbewegung, hatte während seines Aufenthalts in Deutschland (1941–1945) das antijüdische Vernichtungsprogramm der Nazis mit derselben Bedingungslosigkeit unterstützt, mit der nach 1945 die Muslimbrüder sein Wirken im „Dritten Reich“ verteidigten. Seine publikumswirksame Amnestierung hinterließ in der arabischen Welt einen nachhaltigen Effekt: Hier galt von nun ab die pronationalsozialistische Vergangenheit als „eine Quelle des Stolzes, nicht der Scham“, wie Bernard Lewis schreibt. Jetzt zogen in Europa gesuchte Nazis scharenweise nach Ägypten, wo die ehemaligen Muslimbrüder Gambal Abdel Nasser und Anwar as Sadat das berüchtigtste Textbuch des Antisemitismus, „Die Protokolle der Weisen“ von Zion verbreiteten. Das Naziverbrechen an den Juden aber wurde, wenn nicht gerechtfertigt, so doch ignoriert.

Dieser verzerrte Blick auf die Vergangenheit überlagert bis heute die Gegenwart des Nahostkonflikts: Wer die Schoah leugnet, kann die internationale Rückendeckung für die Gründung Israels nur verschwörungstheoretisch erklären. So interpretierten (und interpretieren) die Muslimbrüder den UN-Beschluss von 1947, Palästina in zwei Staaten zu teilen, als „ein internationales Komplott, ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und den Briten unter dem Einfluss des Zionismus“, wie der Historiker al Awaisi schreibt. Auf diese Weise gewann die in Deutschland seit dem 8. Mai 1945 unterdrückte Wahnidee von der jüdischen Weltverschwörung in Teilen der islamischen Welt neue Resonanz. Die Wirkungsmacht dieses Erbes belegt die 1988 verabschiedete Charta der Hamas, „die so klingt, als sei sie direkt aus dem ,Stürmer‘ abgeschrieben“, wie der frühere PLO-Vertreter von Jerusalem, Sari Nusseibeh, treffend kritisiert. Hier wird nicht nur alles Jüdische als Böse, sondern alles Böse als jüdisch definiert: „Die Juden standen hinter der Französischen Revolution und hinter den kommunistischen Revolutionen.“ Sie standen „hinter dem Ersten Weltkrieg, als sie es schafften, den Staat des islamischen Kalifats zu beseitigen … und sie standen hinter dem Zweiten Weltkrieg, als sie gewaltige Profite aus ihrem Handel mit Kriegsgütern erzielten.“ Sie regten „die Bildung der Organisation der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats an, um damit die Welt zu beherrschen. Es gab keinen Krieg …, ohne dass sie ihre Finger dahinter im Spiel haben … Ihr Vorhaben steht in den ,Protokollen der Weisen von Zion‘, und ihr gegenwärtiges Tun ist der beste Beleg für das, was wir sagen.“

Aufgeklärte Menschen tun dies als kranke Fantasien ab. Islamisten aber glauben dieser Feindzuschreibung aufs Wort. „Sagt es uns“, rief Ahmadinedschad kürzlich den westlichen Regierungen zu. „Wenn die Zionisten euch beherrschen, können wir euch helfen. Wir und die freien Völker haben das Potenzial, euch zu helfen. Rettet eure Völker.“ So wie Nazis die Vernichtung der Juden als „Freiheitskampf“ betrachteten, so glauben Islamisten, die Menschheit durch Israels Vernichtung „erlösen“ zu können: „Das zionistische Regime wird wegradiert und die Menschheit befreit werden“, hatte Irans Präsident im Dezember 2006 erklärt.

Die schockierende Bösartigkeit derartiger Ankündigungen verleitet dazu, sie als „Rhetorik“ abzutun und zu verdrängen. Wer aber vor der islamistischen Ideologie – ihrem Todeskult, ihrem Antisemitismus, ihrem Hass auf Selbstbestimmung – die Augen verschließt, dem fällt stets nur ein und dieselbe „Ursache“ für den Terror ein: Israel und die USA. Das Resultat ist eine paradoxe Umkehr der Verantwortlichkeit: je mehr Terror, desto größer die „Schuld“ der USA. Je höher die Opferzahlen in Amerika, desto intensiver der Antiamerikanismus in der Welt.

Die Beliebtheit dieser Schuldzuweisung hat mit der Hoffnung zu tun, die sie suggeriert: Wenn der Terror der Islamisten in der Politik der USA seine Ursache hat, bedarf es nur der Politikveränderung und schon ist man den bösen Spuk los. Auf diese psychologische Dynamik kann Al Qaida sich verlassen: je verheerender der Terror, desto zwingender das Bedürfnis nach Selbstberuhigung. Je blutrünstiger der nächste Anschlag in Europa, desto größer die Wut auf die USA.

Dieselbe Umkehrlogik ist uns vom Nahostkonflikt und seiner verzerrter Rezeption vertraut: Wer den Antisemitismus der Hamas ignoriert, muss für den Selbstmordterror andere Erklärungen finden, und was bleibt, ist: Israel! „Je barbarischer der antijüdische Terror, desto ungeheuerlicher die israelische Schuld!“, lautet dann die Devise. Mit diesem Kurzschluss wird Israel zum Sündenbock für den Terrorismus gestempelt und das „Der Jud ist schuld“-Stereotyp auf die Höhe der Zeit gebracht – ein Vorgang, der den Intentionen der Attentäter ohne Zweifel dient. So wird Verzicht auf Klarheit zum Beginn von Komplizenschaft.

Deutsche können Amerika den Judenhass der Islamisten erklären, hatte David Gelernter vor sechs Jahren notiert und hinzugefügt: „… weil Deutschland seine Vergangenheit ernst nimmt.“ Heute erleben wir, dass der Antisemitismus der Hamas, der Hisbollah und des iranischen Regimes in Amerika zur Sprache kommt – in Deutschland aber nicht. Obwohl Irans Atompolitik den Nahen Osten in den Schatten eines nuklearen Holocaust zu stellen droht. Oder weil? Ist es gerade die Nähe zum historischen deutschen Verbrechen, die Erkenntnis und Einsicht blockiert? Die Frage, ob Deutschland die aus seiner Nazivergangenheit resultierenden Schlussfolgerungen gezogen hat, beantwortet sich nicht in Sonntagsreden, sondern konkret. (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 25.11.2007)

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