Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, November 03, 2007

Putin und sein Trupp (Berliner Zeitung)

Putin und sein Trupp
Die Jugendorganisation Naschi organisiert nicht nur den Jubel für den russischen Präsidenten, sie zieht auch Kader für Politik und Wirtschaft heran
Katja Tichomirowa

WORONESH. Es ist noch einmal warm geworden in Woronesh. "Ganz und gar ungewöhnlich für den Oktober in dieser Gegend", sagt Wadim Petrowitsch. Er trägt einen Sommeranzug ohne Mantel und blinzelt in die Herbstsonne. "Hier, auf dem Platz, vor dem Büro des Gouverneurs, stehen die Veteranen der Arbeit", sagt der Mann mit fester Stimme. An diesem Vormittag sind es genau vier. Drei alte Damen und er. Sie halten ein Transparent, auf dem steht, der Gouverneur solle sich zum Teufel scheren. "An uns Alten wird ein Genozid verübt", sagt Wadim Petrowitsch. "Wie sollen wir von 2 874 Rubel im Monat leben, das sind nicht mal 100 Dollar. Schon die Heizung kostet 500 Rubel."

"Sie wollen, dass wir alle verrecken", schreit seine Mitkämpferin. "Wir hatten keine Kindheit und keine Jugend! Ein Alter sollen wir auch nicht haben!" Vier Rentner, die sich zu Füßen des Lenin-Denkmals versammelt haben, neunzig Jahre nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Sie trinken Tee aus der Thermoskanne, essen ihre mitgebrachten Piroschki und demonstrieren für das Recht der Pensionäre auf ein Überleben im Russland Wladimir Putins.

Sie tun es unbemerkt, der Platz ist menschenleer, bis auf ein paar Arbeiter, die letzte Stahlverstrebungen an einer Bühne vor dem Gouverneurssitz verschrauben. Lange dürfen die Rentner nicht mehr auf ihrem Posten bleiben, dann müssen sie den Ort räumen für die Jugend - und diese wird zahlreich erscheinen. Es steht eine Großveranstaltung an.

Naschi heißt die Jugend, die hier demonstrieren will, die Unseren. Es sind die Enkel jener Generation, der Wadim Petrowitsch angehört. Sie sagen, dass sie zum "Kommando des Präsidenten" zählen, zu Wladimir Putin. Naschi ist die Jugendorganisation der russischen Präsidentenpartei Edinaja Rossija, Einiges Russland.

Seit Wladimir Putin bekannt gab, dass er bei der Parlamentswahl am 2. Dezember für Edinaja Rossija kandidiert, finden überall in der russischen Provinz Kundgebungen statt, die dem Präsidenten huldigen. Wie an diesem Oktobertag in Woronesh, einer Stadt mit knapp einer Million Einwohnern, 450 Kilometer südöstlich von Moskau.

Die Parlamentswahl, erklärte der Vorsitzende von Edinaja Rossija, Boris Gryslow, dieser Tage, sei eine "Volksabstimmung über Putin".

Und so lautet das Motto des Aufmarsches in Woronesh schon mal: "Putins Plan ist unser Sieg."
Seit einer Woche bereiten sich die Aktivisten von Naschi in Woronesh auf ihre Aktion vor. Im Stabsquartier wird am Abend zuvor noch gewerkelt. Eine Kreissäge lärmt. Holz wird zugeschnitten für die bedruckten Transparente: Auch hier leuchtet "Putins Plan ist unser Sieg" in roter Schrift auf weißem Grund.

Es sind die Farben von Naschi. Alexander Kowaljow führt hier das Kommando. Er ist "Massowik", verantwortlich für die Organisation von Veranstaltungen aller Art, vorzugsweise aber von solchen mit massenhafter Beteiligung. Er macht das jetzt seit eineinhalb Jahren. Seiner Abteilung gehe mittlerweile der Elan etwas ab, sagt er, was ihm Sorge bereitet. "Wir wissen jetzt, wie man solche Veranstaltungen bewältigt. Irgendwie ist der Drive weg." Der Jubel für Putin ist ihnen Routine geworden.

Die Flugblätter sind fertig und im Druck, morgen werden sie die Banner auf den Platz vor dem Gouverneursitz postieren, es müssen noch zusätzlich "Aktive" mobilisiert werden, aber im Prinzip sind Alexander Kowaljow und seine Leute mit den Vorbereitungen fertig. Er rechne mit 500 bis 600 Teilnehmern, sagt Kowaljow. Für seine Putin-Aktionen überlegt er sich gern eine spezielle Tageslosung. Diesmal lautet sie: "Sei in der Mannschaft des Präsidenten und trage Verantwortung für Dein Land!"

"Zu uns kommt nur, wer wirklich interessiert ist", sagt Kowaljow. Im Anschluss an seine Politshow findet am gleichen Ort noch eine Großdemonstration der Gewerkschaften statt. Das sei ein "zufälliges Zusammentreffen", wie der Organisator beteuert, alles verschmelze zu einer großen Aktion zur Unterstützung des Präsidenten.

Dass auch die "staatlichen Ressourcen", sprich die Behörden der Stadt, eingeschaltet sind, garantiere eine rege Teilnahme. "Die haben es einfacher mit der Agitation", sagt Kowaljow. "Sie brauchen nur in den Universitäten und Betrieben anzurufen: Da müsst ihr hin!"
Und sie kommen, zu Hunderten. Am Nachmittag füllt sich der Lenin-Platz in Woronesh. Studenten der verschiedenen Hochschulen wie auch Abordnungen aus den Betrieben nähern sich dem Ort der Kundgebung.

Fahnen werden geschwenkt, die russische Trikolore und das Naschi-Banner, ein Andreas-Kreuz, weiß auf rotem Grund. Junge Frauen stöckeln eingehakt, mit Winkelementen in der Hand, über den Platz und beobachten kichernd das Geschehen. Aus den Lautsprechern wummert die Naschi-Hymne, ein Rap: "Wenn du ein Patriot bist, dein Land wartet auf dich. Dann bist du in unseren Reihen willkommen ... Naschi - immer vorwärts! Naschi - nie zurück! Naschi - auf unserer Seite ist das Volk! Naschi - das ist unser Jahr! Ein Häuserblock nach dem anderen. Ein Bezirk nach dem anderen. Schulter an Schulter für die Bewegung, im Gleichschritt ..."

Auf die Bühne stürmt jetzt, sehr dynamisch, der Massenkoordinator Alexander Kowaljow: "Seid gegrüßt! Jugend!", brüllt er ins Mikrofon. "Ich begrüße auf der Bühne die Leiter der Projekte und Bewegungen, die die Probleme von Woronesh lösen und ihre selbstgesetzten Ziele erreichen wollen!" Eine Gruppe Jugendlicher läuft federnden Schritts auf die Bühne. "Willkommen!", schreit Kowaljow.

Die Gruppe tritt im Gleichschritt nach vorn. "Ich bin Tatjana!", ruft eine junge Frau, "Leiterin der freiwilligen Jugendbrigade! Ich habe keine Angst davor zu sagen: Es gibt keine Verbrechen! Wir werden für Ordnung sorgen in der Stadt!" "Ich bin Nikita!", ruft ein junger Mann, "Leiter der demografischen Bewegung. Ich stelle meine Mannschaft so zusammen, dass es modern wird, drei Kinder zu haben!" "Ich bin Irina! Leiterin der Kulturbrigade. Ich werde dafür sorgen, dass die russische Kultur zu einem Maßstab wird für die ganze Welt!"

Zwischen den Auftritten der Brigade-Führer kreischen ein paar junge Mädchen, die sich vorn vor der Bühne postiert haben, als handele es sich bei den Auftretenden um Popstars. Naschi verspricht seinen Mitgliedern nicht mehr und nicht weniger als eine Zukunft.

Woronesh ist nicht Moskau. In der Provinz muss sich nach der Decke strecken, wer einen gut bezahlten Job finden will. Naschi betreibt zu diesem Zweck ein Programm unter dem Namen Lenta. Es geht um die Rekrutierung "junger, national orientierter Kader" für Posten in der Verwaltung und der Industrie. Wer sich an die Kader-Agentur wendet, so wird versprochen, steht auf der richtigen Seite und profitiert von den richtigen Kontakten.

Dass nur Mitglieder von Naschi in den Genuss dieses Berufsförderungsprogramms kommen sollen, hält Elena Kudrjaschowa für normal. "Selbstverständlich fördern wir nur die Unseren", sagt die Leiterin der Agentur in Woronesh und lächelt gewinnend. Naschi eben. In der Broschüre von Lenta ist von einer Mitgliedschaft nicht die Rede. Es findet sich nicht einmal ein Hinweis darauf, dass Lenta eine Initiative von Naschi ist. Das war vor kurzem noch anders, damals hieß das Programm "Naschi-Profi".

Elena kann nicht erkennen, was an der Verknüpfung von politischer Meinungsbildung und Jobvermittlung schlecht sein soll.

Auch der Rektor der Pädagogischen Universität kann das nicht. Wjatscheslaw Podkolsin ist ein Förderer des Programms. Er sitzt am Konferenztisch seines eben renovierten Büros. Das Porträt des Präsidenten im Blick, erklärt er, Lenta sei eine sehr gute Initiative. "Sehen Sie, zu sowjetischer Zeit war Karriere ein Schimpfwort. Der Staat entschied über die Menschen und ihre Zukunft. Heute leben die jungen Leute unter anderen Bedingungen. Sie wollen sich verwirklichen, ein gutes Gehalt beziehen, ihr Potenzial ausschöpfen und einen höheren Lebensstandard erreichen."

Dass die Bewegung von ihren Kritikern "Naschisti", Naschisten, genannt wird, weil sie mit ihrer Kader-Struktur, ihren Kommissare genannten Agitatoren und Schulungsleitern, mit ihren paramilitärischen Übungen und ihrem Geburtenförderungsprogramm Anleihen bei totalitären Vorläufern nimmt, davon will Podkolsin nichts gehört haben. "Das kann ich nicht glauben", sagt er. "Es mag sein, dass ihre Kampfmethoden mitunter einen anti-demokratischen Charakter haben, aber dass sie eine faschistische Ideologie unterstützen - nein, das glaube ich nicht. Irgendwer muss sie ja führen. Und dann wird diese Organisation ja auch von der Staatsführung unterstützt." Das macht sie in seinen Augen unverdächtig.

Eine Jugendorganisation, die nicht von der russischen Staatsführung, dafür aber von der Europäischen Union unterstützt wird, ist "Golos", Stimme. Das Programm soll die Bürgergesellschaft in den russischen Regionen fördern.

Natalja Swjagina leitet die Aktivitäten von Golos in Woronesh. Nahezu zeitgleich mit den Veranstaltungen von Naschi findet auch eine Aktion von Golos statt. Eigentlich war sie für den Freitag angemeldet, sagt Natalja, aber die Stadtverwaltung hat sie auf den Donnerstag vorverlegt. "Wir wollen die Bürger von Woronesh auf die Gefahr von Verstößen gegen das Wahlrecht aufmerksam machen", erklärt Natalja.

In den vergangenen Jahren habe sich in Russland die Ansicht verfestigt, dass Wahlen per se unehrlich seien, doch keiner könne sagen, worin die Verstöße gegen das Wahlrecht bestehen. "Alle haben sich daran gewöhnt, dass der Gouverneur eine Partei unterstützt", sagt Natalja, "dass der Bürgermeister erklärt, welchen Kandidaten er bevorzugt, dass in den öffentlichen Verkehrsmitteln für die Regierungspartei geworben wird." Niemand sehe darin einen Verstoß gegen das Wahlgesetz. Ihre Organisation wolle daran erinnern, dass es dieses Wahlgesetz gibt, dass es von der Regierungspartei verabschiedet wurde und dass sich alle an dieses Gesetz halten müssen, auch die Regierungspartei.

Natalja ist eine ernste, selbstbewusste Person. Dass ihre Initiative kaum Mitglieder findet, kann ihren Elan nicht bremsen. Golos hat kein Stabsquartier, Golos bekommt keine staatliche Unterstützung, es tritt auch kein russischer Politiker für die Ziele der Gruppe ein.
"Das sind tapfere Leute", sagt Andrej Jurow, Ehrenpräsident des Youth Human Rights Movement, eines internationalen Netzwerkes von jungen Menschenrechtsaktivisten, "aber es interessiert sich hier keiner für sie." Das Gros der russischen Jugend sei vollkommen unpolitisch.
Und Naschi?
"Bullshit", sagt er, "wenn man ihnen mehr Geld und einen noch besseren Job verspricht, demonstrieren sie morgen für die Opposition."
Berliner Zeitung, 02.11.2007

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