Knaller an der Zeitungsfront

Wednesday, November 28, 2007

Im Maschinenraum der Literatur (SZ)

5 SZ Kultur 25.11.2007 19:00
Im Maschinenraum der Literatur: Sechs Fragen an den Lektor
Sechs Antworten auf sechs Fragen, die einem Lektor häufig gestellt werden / Von Martin Hielscher

Für den Beruf des Verlagslektors für belletristische Literatur gibt es in Deutschland keine klassische Ausbildung. Man muss ein Homme oder eine Femme de Lettres sein, viel gelesen und in der Regel ein geisteswissenschaftliches Studium absolviert haben, in einigen Fällen, je nach Verlag, auch promoviert und nicht nur in der kanonisierten Literatur, sondern auch im Gewirr der Gegenwartsliteratur, der ausländischen und der deutschen, zu Hause sein.

Weil es keine typische Ausbildung, keinen standardisierten Werdegang gibt, weil Lektoren nur bedingt in die Öffentlichkeit treten, weil ihre Arbeit im Werk der Autoren, das sie lektorieren und die sie betreuen, verschwindet, gibt es über diesen Beruf - der im pragmatischen Sinne notwendig ist und doch etwas staunenswert Orchideenhaftes besitzt - wenig Informationen. Im Folgenden greife ich einige der häufig gestellten Fragen zu diesem Beruf auf, wobei ich das Berufsbild eines Lektors voraussetze, der ein anspruchsvolles, also nicht rein kommerzielles Programm betreut und zudem Programmverantwortung trägt, die Titel also auch auswählt, die er lektoriert.

Erste Frage:
Nach welchen Kriterien werden die Manuskripte ausgewählt, die tatsächlich zu Büchern werden?

Zwei Faktoren spielen im Bereich anspruchsvoller Literaturprogramme eine Rolle - zum einen die Subjektivität des Lektors, zum anderen das jeweilige Verlagsprofil. Schon innerhalb seines Verlages, auf den Konferenzen, im Angesicht der Entscheidungswege und -instanzen, muss der Lektor sein subjektives Urteil begründen, vermitteln. Es wird rationalisiert, durch andere Urteile ergänzt oder gebrochen. Und wenn er mit anderen Lektoren aus anderen Verlagen um Manuskripte und Autoren konkurriert, werden seine subjektiven Geschmacksurteile doch auf eine Objektivität treffen. Das ist eine Erfahrung, die man auch in Jurys machen kann. Es gibt Texte, die sofort alle überzeugen.

Der Lektor muss wissen, wonach er sucht, wenn er Manuskripte und damit Autoren sucht. Bestimmte Bücher gehören in den Suhrkamp Verlag, aber nicht zu Kiepenheuer & Witsch, zu Piper, aber nicht zu C. H. Beck. Es ist nicht immer leicht zu definieren, worin die Unterschiede bestehen, aber es ist für den Lektor lebenswichtig, sie zu erkennen. Ebenso gibt es eine Schnittmenge von Büchern, die in allen diesen Programmen erscheinen können, um die man eventuell sogar konkurriert.

Auch ein sogenanntes anspruchsvolles Buch soll - und hier sind wir bei der eierlegenden Wollmilchmaus - sich verkaufen lassen können, interessant sein, sei es durch die Geschichte, den Humor, den Schauplatz, den Plot, die Spannung, die Figuren, durch ein "Thema". Dass ein literarischer Text aus einer existentiellen Notwendigkeit entsteht, spricht nicht dagegen, dass er zugleich eine Mitteilung sein will.

Der Lektor sucht nicht einfach nach Büchern, sondern nach Autoren - jedenfalls in den literarischen Programmen. Das heißt, er versucht - und das ist für alle Beteiligten zunächst nur ein Wunsch und nicht ausgemacht - Menschen zu entdecken, die weiterschreiben, denen er zutraut, die riskante Existenz eines Autors durchzustehen, und die er dabei begleiten möchte. Bei den vielen Manuskripten, die der Lektor täglich, wöchentlich lesen muss, ist nicht so sehr die Menge der schlechten bedrückend - belastend ist die hohe Zahl der beinahe guten, denn hier fällt die Entscheidung viel schwerer.

Zweite Frage:
Wie kommt der Lektor an seine Autoren?

Das "unverlangt eingesandte" Manuskript hat bekanntlich die geringsten Chancen, wahrgenommen zu werden. Die meisten dieser Manuskripte werden von ihren Autoren querbeet, ohne Ansehen des einzelnen Programms, ohne Kenntnis der Verlagsprofile herumgeschickt und passen - wenn sie überhaupt eine gewisse Qualität besitzen - meist nicht zu dem Programm, für das der Lektor zuständig ist. In gewissen Abständen wird der Stapel unverlangt eingesandter Manuskripte von einem Mitarbeiter gesichtet und abgearbeitet, und sollte doch ein Manuskript hervorstechen, wird es weitergereicht. Hin und wieder werden auf diesem Wege Autoren entdeckt - die Wahrscheinlichkeit ist aber sehr gering.

Es ist eher so, dass Lektoren ein Netzwerk von Kontakten aufbauen, zu Agenten, Autoren, anderen Leuten im Literaturbetrieb, zu Journalisten, Übersetzern, Kollegen in anderen Verlagen, zu Literaturwettbewerben fahren und seit einigen Jahren natürlich auch das verfolgen, was an neuer Literatur rund um Institutionen wie das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig, Textwerk in München, das Studio für Literatur und Theater in Tübingen, die entsprechenden Studiengänge in Hildesheim und an der LMU in München und anderswo entsteht.

Für Autoren, die einen Verlag suchen, stellt sich natürlich immer wieder die Frage, wie sie überhaupt die Schwelle überwinden können, jenseits derer eine Lektorin, ein Lektor sich ernsthaft mit ihrem Manuskript beschäftigt. Denn es wird unendlich viel mehr geschrieben, als gedruckt werden kann. Und: Es gibt kein Menschenrecht darauf, gedruckt zu werden.

Dritte Frage:
Warum gibt es überhaupt Lektoren?

Lektoren gibt es nur, weil die Autoren ihren eigenen Texten gegenüber nicht selten einen blinden Fleck haben - und weil sich historisch die Funktionen des Buchdruckers, Buchhändlers und Verlegers ausdifferenziert haben. Dabei wurde die Funktion des Verlegers noch einmal zerlegt in einen eher geschäftsführenden, gesamtverantwortlichen und repräsentativen Bereich und den der Programm- und Lektoratsarbeit im engeren Sinne. In Kleinverlagen werden diese Zuständigkeiten oft von derselben Person wahrgenommen. Je größer der Verlag, desto stärker werden Verantwortlichkeiten auf verschiedene Mitarbeiter verteilt.

Literarische Arbeit ist nur zu einem Teil bewusste, konzeptuelle, planvolle Tätigkeit. Es bleibt ein Anteil Unbewusstes, Spontanes. Von einem bestimmten Punkt an kann ein Autor nicht mehr genau erkennen, wie geschlossen, stimmig, logisch, überzeugend der Text geworden ist, die Daseinswucht des Textes und die Mühen der Produktion haben ihn zu etwas Evidentem gemacht, dessen angenommenes Sosein der Autor nicht mehr in Frage stellen kann, selbst wenn er an gewissen Stellen ein physisches Unbehagen verspürt - als Zeichen dafür, dass hier irgendetwas nicht stimmt.

Interessanterweise sind es oft genau diese Stellen, auf die ein Lektor kritisch eingeht. Er kann als Frage formulieren, als Kritik, Verbesserungsvorschlag auf den Punkt bringen, was in einem Text seinem eigenen, innewohnenden "Gesetz" nicht gehorcht. Der Lektor ist dem Text fast so nah wie der Autor und hat zugleich genügend Distanz, um eben diesen "zweiten Blick" auf den Text werfen zu können, der dem Autor nicht mehr möglich ist. Das dem Text innewohnende Gesetz ist dabei zugleich das immanente Kriterium für ein Lektorat. Ein guter Lektor trägt nicht seine Vorstellungen, was ein guter Text sei, von außen an die Manuskripte heran. Er bezieht vielmehr seine Kriterien aus dem Text selbst, aus der begründeten Vorstellung davon, wohin der Text von sich aus will. Dieses immanente Ziel eines Textes, sein telos, ist nicht selten auch dem Autor selbst keineswegs von vornherein klar, sondern stellt sich ihm bei der Arbeit eher als "technisches", erzählerisches, konzeptuelles Problem dar, das er lösen muss.

Vierte Frage:
Wie stark greift ein Lektor in den Text ein?

Das Lektorieren geschieht überhaupt nur unter der Voraussetzung, dass sich Autor und Lektor zunächst grundsätzlich über den Text verständigt haben. Dies spielt in der "Anbahnungsphase" zwischen Autor und Lektor oft die maßgebliche Rolle und entscheidet nicht selten darüber, ob Autor und Verlag sich überhaupt einig werden. Wenn hier ein grundsätzliches Einverständnis erzielt worden ist, können Lektor und Autor formulieren, was an einem Manuskript noch zu tun ist.

Man kann die Vermutung anstellen, dass Œuvres auch deshalb entstehen, weil ein Autor immer den gleichen Text zu schreiben versucht, aber erst von Buch zu Buch sich immer mehr die Mittel zu erarbeiten vermag, die er braucht, um schließlich schreiben zu können, was er schon am Anfang hatte schreiben wollen. Zugleich erfährt ein Autor auch erst im Laufe der Zeit genauer, was ihn treibt, was er mit jedem neuen Buch zu klären und zu erfahren versucht. Ein Lektor kann deshalb einem Autor auch nur das abverlangen, was dieser zu dem jeweiligen Zeitpunkt literarisch umzusetzen vermag.

Es gibt Autoren, die ihren Lektor sehr früh bei der Entstehung eines neuen Werkes beteiligen, Anregungen und Lektürevorschläge aufnehmen, ästhetische, philosophische, aber auch ganz handfeste technische Fragen diskutieren. Manche zeigen Teile eines neuen Manuskriptes in einem noch vorläufigen Stadium, brauchen Rat, was aus einem noch unfertigen Werk möglicherweise zu machen ist. Andere zeigen dem Lektor erst eine bereits durchgeschriebene Fassung, die sie dann womöglich zweimal, dreimal überarbeiten, wieder andere liefern nahezu perfekte Manuskripte ab, die nur noch einer Art Feinarbeit bedürfen.

Es kann sein, dass der Lektor in hohem Maße an der Konzeption und auch an der Formulierung eines Werkes beteiligt ist, dass manche Figuren, Ideen, Passagen und Motive ohne ihn nicht entstanden wären oder ganz von ihm stammen. In anderen Fällen sind es vielleicht nur ein paar Worte oder Sätze, die geändert, gestrichen oder hinzugefügt wurden.

Fünfte Frage:
Wer entscheidet, was von den Lektoratsvorschlägen übernommen wird?

Diese Entscheidung trifft der Autor. Ein Lektor macht Vorschläge - der Text ist der Text des Autors, er entscheidet, was geändert wird und was nicht. Dabei gibt es einen Bereich der sprachlichen und sachlichen Richtigkeit, der juristischen Belangbarkeit, auch der politischen und moralischen Identität eines Verlages, über den im Zweifelsfall nicht verhandelt werden kann. Hier muss der Lektor wissen, dass er Repräsentant eines Verlages ist und nicht nur Freund, Kollege, Fürsprecher seiner Autoren.

Sechste Frage:
Kann ein Lektor den Stil eines Autors beeinflussen oder ändern?

Es gibt berühmte Beispiele für Lektoren, die den Stil eines Autors maßgeblich mitgeprägt haben, Paul Schaaf bei Heinrich Böll, Gordon Lish bei Raymond Carver, Klaus Roehler bei Günter Grass, Gary Fisketjon bei Richard Ford, Christian Döring bei Marcel Beyer, um nur einige zu nennen. Bei Raymond Carver ist es eklatant: der lakonische, von einer Art Zen-mäßiger Stille eingefasste Ton seiner Erzählungen kam erst zustande, weil sein Lektor teilweise jeden zweiten Satz im Manuskript zu streichen empfohlen hat. Es bedarf der Einsicht, mitunter der Größe eines Autors, solche Empfehlungen auch anzunehmen.

Ein Autor hat bestimmte Möglichkeiten, andere nicht. Der Lektor kann womöglich sehen, an welchem Punkt ein Autor, der sich nach einem größeren Lesepublikum sehnt, durch seinen Stil eben das verhindert, indem er etwas Opakes, Unnahbares, In-sich-Verschlossenes fortschreibt, das er sogar benennen, aber nicht ändern kann - weil er nicht einsehen mag, dass es ihn behindert, weil es für ihn als ästhetisches Mittel höher rangiert als jeder Kommunikationsakt, den seine Prosa vollzieht: Die Leser sollen sich unterwerfen. Das ist eine durchaus ehrwürdige, gut begründbare ästhetische Konzeption der Moderne - und dennoch haben wir dieses implizite Hierarchieverhältnis hinter uns gelassen, auch das Pathos einer ästhetischen Gegenwelt, das sich dahinter verbirgt.

Ein Lektor kann beim besten Willen diese Haltung nicht ändern, er kann allenfalls darauf hinweisen und dem Autor mehr oder weniger erträgliche Streitgespräche darüber liefern, weil ästhetische Konzeptionen eben nicht rein intellektuell begründete Haltungen sind, sondern existentielle Dispositionen. Seine eigene Poetologie kann der Autor sich nicht aussuchen, sie ist ihm als existentielle Disposition oft nicht einmal bewusst und nur begrenzt bewusst zu machen. Weil sie an den ureigenen Antrieb rührt, ist sie kaum verhandelbar, wenn der Lektor sie in Frage stellt, wird dies - man muss leider sagen, nicht zu Unrecht - als Angriff auf die Person empfunden.

Dennoch gibt es die Möglichkeit, dass Autor und Lektor sich wechselseitig verändern, so wie das gelungene Werk ja auch den Leser verändert. Die Literatur selbst ist ein Prozess mit einem offenen Ende und diejenigen, die sie schreiben und lektorieren, können, wenn sie dazu bereit sind und sich nicht zu sehr an das klammern, was sie für ihr Selbst halten, in diesen Prozess eintreten und von ihm weitergetragen werden, an einen Ort in der Zeit, an dem sie noch nicht waren.

Der Autor Martin Hielscher, geboren 1957 in Hamburg, arbeitete nach einem Studium der Literaturwissenschaft und Philosophie als Autor, Redakteur und Übersetzer. Er war Lektor im Luchterhand Literaturverlag und bei Kiepenheuer & Witsch. Seit 2001 ist er Programmleiter für Literatur beim Verlag C.H.Beck in München.

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