Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, November 20, 2007

Im Leben der anderen (Berliner Zeitung)

Im Leben der anderen
Jetzt kommt Licht in die Arbeit der tschechischen Geheimpolizei StB - zwei prominente Fälle zeigen die Perfidie
Daniel Kaiser

PRAG. Ein Jahr der Akten geht zu Ende. In Tschechien begann eine lang aufgestaute Debatte über die kommunistische Geheimpolizei StB (Statní Bezpecnost) und ihre Archive. Nicht, dass das Thema zuvor unbekannt gewesen wäre. Das erste Verzeichnis von Inoffiziellen Mitarbeitern wurde 1992 publiziert, illegal zwar, aber bis auf Ausnahmen, korrekt. Kritiker behaupteten damals, es seien nur schlichte Namenseintragungen, man müsse immer die ganze Geschichte des IM kennen, um zu urteilen. Heute sagen diese Kritiker, die StB-Materialien hätten keine Aussagekraft, weil für die StB Lüge Methode gewesen sei und die Polizei während der Samtenen Revolution viele Unterlagen vernichtet habe.

Zwei Beispiele von Agenten, der eine Freund des jetzigen Ministerpräsidenten, der andere enger Mitarbeiter des Oppositionsführers, zeigen, dass eine Differenzierung dennoch möglich ist.
Der Ministerpräsident Mirek Topolanek lässt sich gerne mit seinem Freund Jaromír Nohavica sehen. Nohavica, ein rothaariger Folksänger aus Ostrava ist nämlich schon seit zwanzig Jahren enorm populär. Als 1992 die inoffizielle IM-Liste erschien, stand auch Nohavica drauf. Knapp bestritt er jeden Verdacht, gab in den 90ern drei gute CDs heraus und übersprang mit seiner Popularität jede Generationengrenze. In diesem Jahr wurde aber in einem noch nicht bearbeiteten Sack ein Dokument vom Januar 1989 entdeckt. Darin verrät Nohavica Leute, die ihm eine Petition angetragen hatten, in der sie die Haftentlassung des Dissidenten Vaclav Havel forderten. Nohavica gab daraufhin zu, dass er gelegentlich einen StB-Offizier getroffen hat, verteidigte sich aber: "Ich saß mit der Hure im Lokal, auf's Zimmer ging ich nie."

Die Medien befassten sich ausführlich mit dem Fall, und bald konnten Journalisten Nohavicas Bekanntschaft mit der Hure einigermaßen rekonstruieren. 1985 war die Polizei auf den jungen aufmüpfigen Liedermacher aufmerksam geworden. Vom größten Folk-Festival im Lande, "Porta" in Pilsen, holte ihn die Polizei ab. Verhöre fingen an, Nohavica wurde mit einem Prozess wegen Aufwiegelung bedroht und verpflichtete sich zur Zusammenarbeit. Noch ist nicht klar, was genau er in den Jahren bis zur Wende der Polizei meldete. Seine persönlichen Akten wurden (wie die Mehrheit der laufenden Akten) im Dezember 1989 vernichtet, und IM-Berichte aus Ostrava gehen die Forscher erst jetzt durch. Der Fall Nohavica zeigt ein Dilemma: Wiegt es schwerer, dass der Sänger dem Regime umfassend schadete, oder dass er demselben Regime diente?

Das andere Beispiel wirft solche Fragen nicht auf. Milos Schmiedberger, Hoffotograf des ehemaligen Ministerpräsidenten und jetzigen Vorsitzenden der oppositionellen Sozialdemokratie (CSSD) Jirí Paroubek, ist auch Hauptautor eines üppigen Bildbandes, der Paroubek auf 400 farbigen Porträts zeigt. Schmiedberger war stets an lukrativen Aufträgen interessiert und, so wurde jüngst publik, meldete er sich in den 70er-Jahren wegen des Geldes freiwillig als IM. Auf perfide Weise setzte ihn die StB gegen ihren Erzfeind Pavel Landovsky ein. Der Schauspieler, ein enger Freund von Vaclav Havel, war populär, heiratete 1975 ein blondes Fotomodell. Doch 1976 wurde Landovsky aus seinem Theater entlassen - aus politischen Gründen. Seinen kleinen Sohn wollte kein Kindergarten aufnehmen, das Geld ging aus, Landovsky trank, seine Frau Eva tröstete sich in einer Beziehung mit dem Frauenhelden Schmiedberger. Der IM wurde direkt beauftragt, auf diese besonders perfide Weise Landovskys persönliche Lage unerträglich zu machen.

Der CSSD-Vorsitzende Paroubek tat die Affäre mit Schmiedberger ab, StB sei halt eine verbrecherische Organisation gewesen, auch im Nachhinein unglaubwürdig. Er scheint nicht gemerkt zu haben, wie dramatisch sich die StB-Debatte verändert hat: Es fing unauffällig an. Im Jahre 2004 schmuggelte eine konservative Senatorin einen Paragrafen in das neue Archivgesetz ein, wonach alle Akten der Geheimpolizei und der Kommunistischen Partei bis 1989 geöffnet werden sollen. Die linke Regierung mochte den Antrag nicht, wollte aber ein eigenes Gesetz an einem Paragrafen nicht scheitern lassen, entschloss sich also, das Gesetz still zu sabotieren. Zwei Jahre lang herrschte im Archiv des Innenministeriums eisiges Klima, in mehreren Fällen wurden vorhandene Unterlagen verleugnet, wenn Forscher Einsicht begehrten. Das stellte sich heraus, als nach den Wahlen 2006 die konservative ODS des Mirek Topolanek an die Macht kam und genau jene Forscher ins Archiv führte, die bis dahin hart mit dem Archivpersonal gekämpft hatten. Aus Papier wurde tatsächlich Gesetz.

Schnell erfassten die Medien die neuen Möglichkeiten. Das größte Interesse galt bekannten Persönlichkeiten aus dem Showgeschäft, wie dem Sänger Nohavica, Schauspielern und Spitzenpolitikern.

Am Anfang hatten die Enthüllungen etwas Komisches: Über IM-Fälle schrieben in der Regel sehr junge Journalisten, die sich zuvor nicht mit der kommunistische Ära beschäftigt hatten. Akademische Historiker, die bis dahin fast nichts zur neuesten Geschichte publiziert hatten, wurden auf diese Journalisten und vor allem auf die neuen StB-Archiv-Verwalter eifersüchtig. Als eine Zeitung die Akten des Staatspräsidenten Vaclav Klaus publizierte (Klaus, eine "feindliche Person", schneidet darin gut ab), sagte ein Historiker im Ernst, das Material sei der Zeitung sicher zugespielt worden, weil eine junge Journalistin sich doch im Archiv gar nicht auskenne.

Offensichtlich wusste er nicht, dass Tschechien heutzutage das liberalste Archivgesetz der Welt hat. Marianne Birthler zeigte sich beim Treffen mit Tschechiens Innenminister Ivan Langer und seinem Archivchef Pavel Zacek (beide waren 1989 Studentenführer) in Berlin beunruhigt über das Ausmaß an Offenheit. Wirklich jeder kann die Akte von jedem einsehen, der in den StB-Materialien vorkommt - als Spitzel oder auch als Bespitzelter. Die Prozedur ist unbürokratisch, aber potenziell rücksichtslos. Ein StB-Opfer kann sich nicht wehren, wenn jemand in seinem 20 Jahre vergangenen Privatleben schnüffeln will. Andererseits finden viele Bürgerrechtler, ordentliche Aufarbeitung der Geschichte sei wichtiger als die Privatsphäre.

Die Öffnung kommt 16 Jahre nach der Wende, die meisten Figuren aus den Archiven sind vergessen, das Reservoir jener, die noch das Interesse der Boulevardzeitungen zu wecken vermögen, ist fast verbraucht. Jetzt beginnt die Kleinarbeit: Das Innenministerium baut ein System auf, das alle Akten digitalisiert und vieles angeblich Vernichtete aus diversen Quellen doch noch rekonstruiert. Es wird Jahre dauern. Die Debatte wird die Massen nicht mehr bewegen. Dafür mag sie ein Niveau erreichen, von dem man noch vor einem Jahr nur träumen konnte.

Berliner Zeitung, 20.11.2007

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