Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, November 03, 2007

Im Geist, der stets vereint (Tagesspiegel)

Im Geist, der stets vereint
„Haut ab“, rufen sie, „das ist unsere Straße.“ Sie wohnen in der Oderberger, Prenzlauer Berg. Und kämpfen gegen die Sanierung. Denn danach wäre ihr Quartier ja wie jedes andere
Von Nadja Klinger 3.11.2007

Wenn man den Geist sehen könnte, hätte er eine armeegrüne Schirmmütze auf dem Kopf. So wie Oskar Neumann. Er würde berlinern, große Biere trinken und Zigaretten drehen. Er hätte Augen wie Karin Powilleit. Augen, die groß werden, sobald es Neuigkeiten gibt, die rollen, wenn eine Sache aus dem Ruder läuft. Man nennt ihn den Geist der Oderberger Straße. Jedermann, aber auch wirklich jeder hier, kann ihn beschwören. Jens-Holger Kirchner, Stadtrat von Pankow, hat das erlebt. Es hat ihn wütend gemacht. Aber dazu später.

Vor Jahrzehnten fing alles an. 1986 beschloss der Berliner Magistrat, die Gründerzeithäuser in der Oderberger Straße in Prenzlauer Berg abzureißen und Plattenbauten hinzustellen. In den Altbauten steckte der Schwamm, Fenster waren marode, Fassaden bröckelten, Balkone stürzten ab, viele Wohnungen hatten Außenklos. Doch die Anwohner hatten mit Maurerkellen ihre Wohnungen, mit Hacke und Spaten die Straße schön gemacht. Zwischen Häusern hatten sie den „Hirschhof“ geschaffen, sie spielten unter Bäumen Theater, zeigten Filme, feierten Feste. Die Anwohner verteidigten sich selbst. Normalerweise war der Wohnbezirksausschuss der Nationalen Front ein Gremium aus folgsamen Bürgern, das überall in der DDR demokratisches Mitbestimmen simulierte. Sie besetzten ihn sozusagen. Sie machten aus ihm, was er vorgab zu sein. Der WBA rettete ihre Häuser. In der Oderberger ging es wirklicher zu als in der Wirklichkeit.

Als es die DDR nicht mehr gab, drohten Sanierung und hohe Mieten. Das Aktionsbündnis, das sich in der Straße fand, um etwas gegen die Verdrängung der Bevölkerung zu tun, nannte sich „Wir bleiben alle“. Abgekürzt: W.B.A. Im Sommer 1992 folgten dem W.B.A. 20 000 Menschen auf eine Demonstration gegen Mieterhöhungen im Osten. In der Oderberger zimmerte man Bänke, setzte Sträucher und Bäume. Man eroberte die eigene Straße und machte sie zum Lebensraum. Auf etwa 500 Metern, die über die Kastanienallee hinweg zum Mauerpark führen, gibt es heute über 30 Kneipen, Cafés, Restaurants, Imbisse, zudem Mode-, Secondhand- und Bioläden. Pflanzen ranken und räkeln sich, Touristen drängen über Gehwege, die mit Mobiliar und Pflanzkästen voll gestellt sind. Die Oderberger ist ein modernes Stück Berlin. Deshalb konnte auch hier nicht verhindert werden, dass viele Menschen kamen und viele gingen. Höchstens ein Fünftel der Anwohner, heißt es, waren schon zur Wende hier.

Und nun spendiert Berlin 2,5 Millionen Euro. Der Bezirk Pankow will mit dem Geld endlich kaputte Wege und die Fahrbahn der Oderberger sanieren. Für den Bau sollen die Gehwege geräumt werden, nach der Sanierung ist wild Wachsendes und selbst Gezimmertes nicht mehr vorgesehen. Die Straße wird „grundhaft erneuert“, sagt das Tiefbauamt. Der Duden kennt „grundhaft“ nicht. Es ist kein Wort, sondern ein Streich. Liefe alles nach Plan, wäre die Oderberger bald verschwunden.

Warum hat S.T.E.R.N., die sich Gesellschaft der behutsamen Stadterneuerung nennt, diesen Sanierungsplan, den sie in Auftrag gab, nicht moniert? Warum hatte Jens-Holger Kirchner, der als Stadtrat für Europas größtes zusammenhängendes Sanierungsgebiet, den Prenzlauer Berg, verantwortlich ist, nichts einzuwenden? Beide mussten wissen: So schnell gibt eine Straße ihren Geist nicht auf.

Kirchner wird bald 48. Nach der Wende saß er am Runden Tisch, in der Bezirksversammlung. Seit 2001 ist er bei Bündnis 90/Die Grünen, seit einem Jahr Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung und Verkehr. Manchmal setzt er beim Unterschreiben hinter seine Vornamen noch einen in Klammern: Nilson. Unter diesem Spitznamen kennt man ihn hier. Nilson Kirchner fährt mit dem Rad vom Bezirksamt ins Café „Ost Fee“ in der Oderberger Straße. Hier hat sich in der Nacht zuvor die Bürgerinitiative getroffen. Die Tische waren zusammen geschoben, man redete durcheinander, fuchtelte. Kirchner erinnert sich gut, wie es ist, wenn Bürger Aktion machen. Er selbst steht nun einem Amt vor. Er ist rechenschaftspflichtig, steckt in Sachzwängen. Sein alter Spitzname hockt in den Klammern wie weggesperrt. Er bestellt Chai Latte. Welche Sorte?, fragt die Kellnerin. Er wählt Tiger. Er sagt: „Hauptsache stark.“

Als er im September im Saal des Bezirksamtes den Sanierungsplan vorstellte, riefen Anwohner: Das ist unsere Straße! Haut ab! Baut woanders! Berlin hat 60 Milliarden Schulden, und die wollten nicht 2,5 Millionen geschenkt haben? Kirchner verstand das nicht. „Aber wütend wurde ich erst, als 25-jährige Zugezogene mir vom Geist dieser Straße erzählten.“ Er glaubt gesehen zu haben, wie bei jungen Leuten Selbstgerechtigkeit aus jeder Pore tropfte. Er sagt: „Selbst in der Wendezeit, als vieles weh tat, als es um Stasi und so ging, da fehlte nie der Respekt.“

Wenn der Geist der Oderberger Straße eine Biografie hätte, dann wäre es die von Oskar Neumann. Unter seiner Schirmmütze sind Igelfrisur und Geheimratsecken versteckt. Der 36-Jährige hatte eine ABM als Gärtner in der Oderberger. Er studiert Biologie, unterrichtet Bio und Mathe als freier Lehrer, führt Besucher durchs Naturkundemuseum, arbeitet für ein Planungsbüro und in der Altenpflege. Außer neun Wasserschildkröten pflegt er den rothaarigen Kater einer Frau, die ins Pflegeheim musste. Oskar Neumann ist in der Oderberger aufgewachsen und wohnt hier immer noch. Er hat sie in sich. Obwohl nur rund 20 von 2500 Anwohnern in der Bürgerinitiative gegen den Sanierungsplan mitmachen, ist sie für ihn eine Straße der Gleichgesinnten. Er wittert den Feind. Er lehnt Hilfe, die Parteien und Politiker anbieten, nicht ab. Aber er fürchtet: „Die wollen sich den Erfolg auf ihre Fahnen schreiben.“

Abends geht er jetzt oft ins „Entwederoder“. Die Bürgerinitiative hat die Kneipe zu ihrer Schaltzentrale gemacht. Da sitzen sie, kluge Köpfe, die um Ideen ringen. Sie haben eine Umfrage unter den Anwohnern gemacht. Wie sie die Oderberger haben wollen, fragten sie. Es ist ein großer Wunschzettel draus geworden. Die Bürger wollen noch mehr Spielfläche und Bänke, es ist ihnen aber auch zu laut. Sie wollen mehr Grün, aber auch ihre Parkplätze behalten. Nach Wunschzetteln kann man kein Ziel formulieren.

Nicolas Grohmann hat die Bürgerinitiative mitgegründet. Er ist 29 Jahre alt, Grafikdesigner, arbeitete in Portugal am Meer, eher er Sommer 2005 ins mürrische Berlin zurückkam. Er lief durch die Oderberger und blieb. Jeden Abend trägt er portugiesische Pflanzen vom Balkon ins warme Zimmer. Er findet, dass die Gehwege dringend repariert werden müssen. Er sagt „wir“, wenn er von der Oderberger spricht.

Auf den ersten Bürgertreff nahm er Papier und Edding mit. Wollte Brainstorming machen. Oskar Neumann hat gesprochen. Ruhig, bestimmt, alle lauschten. Grohmann hielt sich zurück. Er schlug eine Kampagne vor, um an die Öffentlichkeit zu gehen. Er sprach über Inhalt und Farben, über den richtigen Moment. Irgendwie kam das nicht an. Auf der nächsten Versammlung sagte er: „Wir brauchen Strukturen. Es muss klar sein, was unser Ziel ist.“ Jemand erwiderte: „Der Weg ist das Ziel!“ Grohmann sagt: „Verständigung ist ein großes Problem.“

Immer wenn dieses Problem auftritt, rollt Karin Powilleit mit den Augen. Sie lebt seit 20 Jahren in Berlin, seit zweieinhalb in der Oderberger Straße. Die Terrasse vor ihrer Küche liegt neben Oskar Neumanns Hof. Bis vor kurzem hat sie mit ihm nur über Pflanzen geredet. Sie ist Tischlerin. Sie trägt Hemden und weite Pullover über Hosen. Sie fährt Motorrad, rangiert große Autos mit Ladefläche. Wenn sie in Fahrt kommt, geht eine Sache richtig los.

Im September im Bezirksamt hat sie einfach in den Saal gerufen. Ob er sicher sei, dass die Oderberger wirklich saniert werden würde, hat sie den Stadtrat spitz gefragt. „Herr Kirchner hat mich angesehen, wollte antworten, hat es dann gelassen“, sagt sie. Es war der Moment, da sie in Fahrt geriet. Seitdem fährt sie sonntags in die Werkstatt, um Arbeit nachzuholen, von der die Oderberger sie abgehalten hat.

Die Bürgerinitiative recherchiert. Müssen Wasserleitungen unter den Wegen saniert werden? Sind DDR-Laternen baufällig? Verbrauchen sie zu viel Energie? Kann man ihre Straße, so wie sie ist, unter Denkmalschutz stellen? „Die Laternen sind nicht mein Geschmack“, sagt Karin Powilleit. „Aber ich finde es nicht schön, dass in der Stadt mit den Dingen die Zeit entsorgt wird, zu der sie gehörten.“

An jenem Abend, da sie im Café „Ost Fee“ die Tische zusammenrücken, reden sie von Leitungen, Abwasser, Strom und Beton, von Rotdorn, Platane, Lapplandweide, Eschenahorn. Wollen abstimmen, welche Bäume weg sollen. Jemand sagt: Wir sind hier, um zu bewahren! Oskar Neumann schiebt seine Mütze über die Stirn auf den Hinterkopf, zieht sie wieder zurück. Jemand sagt: Der Geist unserer Straße ist das Engagement!

Sie reden, streiten. Draußen vor der Tür die Raucher, drinnen stehen sie mit roten Köpfen am Tisch. Manchmal kommt jemandem eine Idee, mit der er selbst nicht gerechnet hat. Sollen sie Visionen vertreten oder sich nach der Bürgerumfrage richten? Autofreies Wohnen oder Parkplätze? Karin Powilleit rollt mit den Augen. Sie ruft immer öfter dazwischen. Oskar Neumann legt seine Hand auf ihren Arm, um sie zu bremsen. Sie schmeißt sein Bierglas um.

Jens-Holger Kirchner hat Post vom Senat bekommen. Dort hat man in der Zeitung gelesen, was in der Oderberger los ist. Man wolle sie mit den Millionen nicht zum Glück zwingen, ließ man wissen. Kirchner hat sofort beschwichtigend geantwortet. „Ich will, dass die Straße Pilotprojekt ist“, sagt Karin Powilleit spätabends am Tisch, „ein Beispiel dafür, dass eine Stadt von Toleranz und machbarer Abweichung von den Regeln lebt.“ Der Geist ist hier, mitten im Raum. Jemand fügt hinzu: Wenn dem Senat nicht passt, was hier los ist, soll er sich eine andere Stadt suchen.

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