Knaller an der Zeitungsfront

Saturday, October 20, 2007

Laufen Sie Ihrem Körper davon? (FAZ)

Fragen an einen „Skyrunner“
Laufen Sie Ihrem Körper davon?

Er ist dann mal häufiger weg...: Christian Stangl19. Oktober 2007 Flughafen München, Aussichtshügel: Mit lockeren Sätzen kommt ein schlaksiger Mann in einer Fleece-Jacke die Treppe herauf, die Augen strahlen blau, die Wangen sind hager - das ist Christian Stangl, der schnellste Bergsteiger der Welt. Und schnell kommt er auch zur Sache.

Herr Stangl, sind Sie als Kind eigentlich gerne gewandert?
Immer schon. Mit vierzehn bin ich allein losgezogen. Das wurde dann schnell exzessiv: Ich bin einfach sieben Tage in eine Richtung gewandert und habe drei Gebirgszüge überschritten. Damals schon sehr schnell, es hat mich immer gefreut, wenn ich jemanden überholt habe. Meine Mutter sagte immer: Kannst du nicht auch mal wie ein normaler Junge in deinem Alter ausgehen und dich mit Mädchen treffen - aber das hat mich überhaupt nicht interessiert. Meinen ersten Berg habe ich schon mit zwei Jahren gemacht. Aber das war kein richtiger Sky Run: Die letzten Meter zum Gipfel saß ich auf den Schulter meines Vaters.

Was ist denn ein richtiger „Sky Run“?
Beim Sky Running fällt einfach alles an Hilfsmitteln weg. Es gibt keinen künstlichen Sauerstoff - das sollte man sowieso ganz verbieten -, aber auch keine Proviantlager am Berg und keine Zelte. Es gibt nur ein Basislager und einen Gipfel, sonst nichts. Und diese Distanz legt man so schnell wie möglich zurück. Es muss sich aber um einen hohen Berg handeln, mindestens 4000 Meter - sonst wäre es ja ein gewöhnlicher Berglauf.

Sie kommen gerade aus Nepal und haben dort den 8201 Meter hohen Cho Oyu bestiegen. Wie lange haben Sie dazu gebraucht?
Fünfzehn Stunden und sechs Minuten, nonstop vom Basislager zum Gipfel.

Die Besteigung eines Achttausenders ist für die meisten Menschen unerreichbar, für viele Bergsteiger ein Lebensziel. Und Sie machen das - wie auch schon den Mount Everest - als Tagestour?
Genau.

Zu Reinhold Messners Zeiten war es eine Sensation, ohne Sauerstoff überhaupt auf Achttausender zu steigen. Das reicht heute nicht mehr, um von sich reden zu machen. Rennen Sie deswegen auf Berge?
Kopieren will ich nicht, deswegen interessiert mich die Besteigung der Achttausender im klassischen Stil nicht. Heute kann ich raufgehen, wo ich will, da war sicher schon einer oben. Da halte ich es lieber mit Che Guevara: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche. Leider muss ich wie Messner damals ständig erklären, welchen Sinn das hat.

Und welchen Sinn hat das?
Ich weiß natürlich, dass es den Verlauf der Welt nicht beeinflusst. Aber um den Alpinismus weiterzuentwickeln, gibt es eben nur die Schwierigkeit, den Stil und die Geschwindigkeit. Meine Sache sind der Stil und die Geschwindigkeit. Und so stelle ich auch Rekorde auf. Paul Preuß, ein österreichischer Alpinist, hat um die Jahrhundertwende gesagt: Sport ohne Rekord ist ein Begriff ohne Inhalt.

Ist Sky Running die ehrlichste Form des Bergsteigens?
Alles an Hilfestellung ist für mich kein fairer, ehrlicher Stil. Die ganze Lagertaktik, die seit fünfzig Jahren herrscht - das brauche ich alles nicht mehr. Die Energie, die andere für das Errichten von Lagern einsetzen, stecke ich in den Aufstieg. Außerdem ist Sky Running ökologisch vorbildlich. Man weiß ja, wie viel von den Lagern auf dem Berg liegenbleibt.

Wie war das, sind Sie irgendwann aufgewacht und haben gesagt: Ich bin jetzt Sky Runner?
Das war 2002 am Aconcagua in Südamerika. Da habe ich gemerkt, wie schnell ich sein kann: Ich bin in vier Stunden und 25 Minuten hoch. Bis dahin war ich Elektrotechniker. Damals habe ich mich entschieden, als Profi weiterzumachen, als Sky Runner eben. Dann kamen die Rekorde am Elbrus und am Mount Everest und schließlich die Idee mit den „Seven Summits“, die Besteigung der höchsten Gipfel der sieben Kontinente in neuen Rekordzeiten. Sechs habe ich schon gebrochen.

Über Ihren Rekord an der Castensz-Pyramide in Indonesien ist derzeit der Film „The Skyrunner“ zu sehen, der zeigt, wie hart Ihr Beruf ist.
Extrem war vor allem der lange Anmarsch durch den Dschungel. Der Hubschrauber war uns einfach zu teuer, und da sind wir sechs Tage durch den Regenwald gelaufen, durch Regen und Schlamm. Oben auf dem Hochmoor waren es dann nur noch zehn Grad, und das in der nassen Kleidung - das war schon hart.

Trotzdem haben Sie wieder einen Rekord aufgestellt.
Ja, und viel besser, als ich je zu träumen gewagt hätte.

Wie ist es, plötzlich ein Filmstar zu sein?
Ach, mir ist das eigentlich alles zu viel. Und wenn ich mir alle meine Reisen leisten könnte, würden wir jetzt gar nicht hier sitzen. Viele Leute sagen, ich sei naiv und verkaufe mich nicht gut. Aber mir ist das schon lästig, wenn ich auf einer Berghütte plötzlich von Wildfremden gefragt werde, wo die nächste Tour hingeht. Ich nehme das den Leuten nicht übel, aber irgendwie ist man halt nur „Berg“ und „schnell“, aber nicht die ganze Persönlichkeit. Außerdem gibt es keine Leistungstransparenz wie beim Fußball, wo der gewinnt, der Tore schießt: Zehn Sechstausender in sieben Tagen zum Beispiel, da weiß keiner so genau, was das bedeutet.
Könnten auch zwanzig sein.

Eines der größten Probleme beim Höhenbergsteigen ist die Anpassung des Körpers an die dünne Luft. Wer auf den Kilimandscharo steigt, muss bei 4000 Meter einen Akklimatisationstag einlegen. Deswegen brauchen normale Menschen sechs Tage. Sie haben es in nicht mal sechs Stunden gemacht. Wie geht das?
Die Frage kann ich nicht beantworten und auch nicht Martin Burtscher, mein Höhenmediziner der Uni Innsbruck: Offenbar bin ich so schnell, dass mein Körper gar nicht bemerkt, was mit ihm passiert. Bevor die Akklimatisation eintritt, bin ich schon wieder unten. Die Höhenkrankheit tritt meist nachts in den Lagern auf. Und das gibt es bei mir ja nicht. Ich überspringe sozusagen die Inkubationszeit der Höhenkrankheit.

Beim Höhenbergsteigen spricht man über 7000 Metern von der „Todeszone“, weil der Körper sich nicht mehr erholen kann, auch nicht im Schlaf.
Ich glaube, diese Todeszone ist willkürlich festgelegt. Ich habe es nie so erlebt, wie es immer beschrieben wird: einen Schritt machen, zehnmal atmen, wieder einen Schritt. Ich gehe einfach durch.

Wie trainiert man Sky Running?
Zwischen acht und zwölf Stunden täglich. Ich habe sehr viel von Langläufern und Radfahrern gelernt, wie man Kondition über Jahre aufbaut. Bei meiner Mount-Everest-Besteigung war es so, dass ich nach fünf Monaten Training meine maximale Leistungsfähigkeit innerhalb von 24 Stunden abrufen konnte.

Sie laufen mit einem Traktorreifen im Schlepptau dreißig Grad steile Schotterhänge hinauf.
Damit ich einen erhöhten Widerstand habe, ja. Der ist mit dreißig Kilogramm sogar ziemlich erhöht. Aber wenn ich mit dem Ding vier Stunden zügig bergauf gehe, dann spüre ich am nächsten Tag einen Effekt.

Sie gehen vier Stunden lang mit diesem Traktorreifen zügig bergauf?
Ja. Ich nenne den Reifen übrigens die „Bestie“, weil ich so eine spezielle Form von Aggression gegen ihn entwickelt habe.

69 Kilometer und 11.500 Höhenmeter - wäre das Ihre Definition eines schönen Wandertags?
Diese Tour habe ich im Nationalpark Gesäuse in meiner Heimat Steiermark gemacht. Ich bin an der Grenze des Parks entlanggelaufen und -geklettert, mit dem ersten Morgenlicht aufgebrochen und mit dem letzten Abendlicht zurückgekommen, in sechzehn Stunden und vier Minuten.

Sie laufen immer allein. Wie motivieren Sie sich auf Ihren Touren?
Wenn ich stark sein will, spreche ich Russisch mit mir. Dann fühle ich mich wie ein Kapitän auf einem russischen Atomeisbrecher. Ich stehe auf dem Schiff, es geht voran, und vor mir bricht das Eis. Die russische Phonetik gibt mir das Gefühl, dass ich stark bin. Wenn ich Angst bekomme, fange ich dagegen an, Englisch zu sprechen. „Hey man, take care“ und solche Sachen. Das ist alles total seltsam.

Wann bekommen Sie Angst?
In der Nacht. Ich will ja immer zur wärmsten Tageszeit am Gipfel sein, damit ich wenig Kleidung brauche. Deshalb muss ich meistens durch die Nacht gehen. Und mit der Nacht kommt die Urangst: wenn die Sonne untergeht und du allein bist auf 7900 Metern. Um drei, vier Uhr morgens kommt die Kälte dazu. Aber Angst und Kälte treiben dich weiter - da willst du gar nicht stehenbleiben. Und ehe du müde wirst, geht schon wieder die Sonne auf.

Machen Sie denn nie eine Pause?
Nie! Ich bleibe nicht mal stehen, um zu trinken. Ich habe ein spezielles System, so dass ich im Gehen trinken kann.

Ihre Ausrüstung umfasst einen Skistock, ein paar Salzkekse, Kohlehydratgel und etwas zu trinken. Sonst nichts. Passieren darf da nichts.
Wenn ich mir den Fuß verstauche, dann habe ich ein ernsthaftes Problem. Ich habe ja auch kein Funkgerät dabei. Das ist eine Gewichtsfrage: Das wiegt auch drei- oder vierhundert Gramm. Und ich habe ja sowieso keine Zeit zum Telefonieren.

Denken Sie nie über einen Unfall nach?
Mit Unfall und Tod setze ich mich seit 24 Jahren auseinander. Damals bin ich mit einem Freund in eine Lawine gekommen. Ich hatte mir den Oberschenkel gebrochen. Es gab nur uns zwei, auf 6000 Meter. Als er mich allein gelassen hat und abgestiegen ist, um Hilfe zu holen, dachte ich: Das war's. Ich hatte wirklich mit dem Leben abgeschlossen. Und dann kam dieser Song: „I like to be under the sea, in an Octopus's garden in the shade“. Ich habe keine Ahnung, von wem der idiotische Song ist.

Von den Beatles. Ihr Bergsteigerkollege Joe Simpson hat auch einmal geschrieben, dass ihm in der Todesangst das Lied „Brown Girl in the Ring“ von Boney M. durch den Kopf ging. Und weil er nicht zu einem furchtbar schlechten Song sterben wollte, schöpfte er nochmals Kraft und überlebte.
Das kann ich total verstehen. Total! Offenbar gibt es einen Mechanismus, der die letzten Momente ins Tragikomische zieht.

Im November fliegen Sie in die Antarktis, um den Mount Vinson, den Letzten der „Seven Summits“, zu besteigen.
Ein harter Brocken. Langer Anmarsch, wie beim Denali, wo ich vom Flugplatz bis zum Gipfel 24 Kilometer laufen musste. Und niedrige Temperaturen: Wenn du in den Schatten der Berge kommst, sinken die Temperaturen von minus zwanzig auf minus vierzig Grad Celsius. Und dann die Wandhöhen! Die sind alle 2000 Meter hoch. Lauter Eiger-Nordwände.

Der Rekord steht bei 26 Stunden, hoch und runter. Für Sie wieder nur eine Wandertour?
Nein, das wird ganz, ganz knapp. Mir geht es aber auch noch um meine Gesamt-Aufstiegszeit der „Seven Summits“. Die liegt jetzt bei 49 Stunden und 35 Minuten. Nach dem Mount Vinson könnte sie unter 70 Stunden liegen. Beim klassischem Bergsteigen braucht man 500 Stunden. Ich wäre dann also siebenmal so schnell.

Wenn Ihnen das gelingt, was gibt es dann noch zu erreichen?
Ich könnte zum Beispiel meine eigenen Rekorde brechen. Voriges Jahr habe ich drei Sechstausender an einem Tag bestiegen. Fünf müssten eigentlich auch möglich sein.

Zur Person
Der Österreicher Christian Stangl wurde 1966 in der Obersteiermark geboren. Er gilt als neuer Superstar der Bergsteigerszene.
Stangl nennt sich „Skyrunner“: Bei dieser neuen Form des Alpinismus geht es darum, möglichst hohe Berge möglichst schnell zu besteigen, und das möglichst naturbelassen - ohne Träger, künstlichen Sauerstoff, Lager, Zelte und auch ohne Funkgerät.
Momentan rennt Stangl auf die höchsten Bergen der sieben Kontinente, sechs davon hat er schon in Rekordzeit bestiegen: den Aconcagua (6959 Meter), den Kilimandscharo (5895 Meter) , den Elbrus (5643 Meter), die Carstensz-Pyramide (4884 Meter), den Mount McKinley in Alaska (6149 Meter) und den Mount Everest (8448 Meter). Im November will sich Stangl auf dem Mount Vinson in der Antarktis den siebten Rekord holen.
Bei der „European Outdoor Filmtour“ ist Christian Stangl derzeit im Film „The Skyrunner“ in den deutschen Kinos zu sehen.


Das Gespräch führte Andreas Lesti.Text: F.A.Z., 20.10.2007, Nr. 244 / Seite Z6Bildmaterial: Uni Innsbruck

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