Knaller an der Zeitungsfront

Tuesday, October 16, 2007

Der Geist von Downing Street (Berliner Zeitung)

Der Geist von Downing Street
Der Bestseller-Autor Robert Harris war mit Tony Blair befreundet, dann kam es zum Bruch. Sein Thriller "Ghost" erzählt von einem britischen Premier
Sabine Rennefanz

KINTBURY. Nur eine Zugstunde trennt den Politiker und den Schriftsteller. Der Politiker lebt in einem lauten und teuren Viertel im Westen Londons, in Bayswater. Bis vor Kurzem regierte er Großbritannien. Vor der Tür seines Stadthauses steht Tag und Nacht ein Polizist mit einer Maschinenpistole.

Der Schriftsteller lebt in einem viktorianischen Pfarrhaus in einem Flecken namens Kintbury in der Grafschaft Berkshire. Vom Schreibtisch aus sieht er Bäume und Boote, die auf einem Kanal schaukeln. Sein Heim wird von einem nervösen Hund namens Rosie bewacht.

Tony Blair, der Premierminister, und Robert Harris, der Bestseller-Autor - sie waren einmal Freunde. Dann kam der Irak-Krieg. Und die Entfernung zwischen ihnen lässt sich heute nicht mehr in einer Zugstunde überbrücken. Seit drei Jahren haben sie kein Wort mehr miteinander gewechselt.

Es gibt Freundschaften, die erreichen irgendwann ein Verfallsdatum. Man muss nicht viel erklären, sie sind einfach vorbei. Bei anderen bleibt der Wunsch, sich zu erläutern, vielleicht auch Abstand zu suchen, einen Schlussstrich zu ziehen. Manch einer wählt in so einer Lage die Briefform. Robert Harris ist Romanautor, also hat er einen Roman geschrieben:"Ghost". Soeben ist er auch auf Deutsch erschienen.

Bei sich zu Hause trägt der Autor ein hellgrünes Jackett, wie es britische Landadelige bevorzugen, dazu ausgetretene braune Slipper. Er ist in einem der tiefen geblümten Sessel im Wohnzimmer versunken, neben ihm steht ein Holzkorb für den Kamin. Auf dem Klavier am Fenster reihen sich Fotos der Großfamilie Harris, darunter ist auch ein Bild, auf dem Peter Mandelson zu sehen ist, gemeinsam mit Harris' Tochter Matilda, einem seiner vier Kinder. Mandelson, heute EU-Kommissar in Brüssel, war einer der Architekten des Projekts New Labour und er ist der Pate von Matilda. So nah sind sich Politik und Privatleben im Hause des Schriftstellers.

Robert Harris ist fünfzig Jahre alt, berühmt wurde er mit Geschichten, die die Mechanik des politischen Geschäfts mit all seinen psychologischen Verfänglichkeiten scharfsinnig analysieren. Jetzt hat er also einen Thriller über einen britischen Premierminister geschrieben.
In seinem Buch heißt der frühere Regierungschef Adam Lang - und nicht nur die Melodie des Namens erinnert an Tony Blair. Dieser Adam Lang besitzt schauspielerisches Talent, er hat eine ehrgeizige Gattin und er fühlt sich der US-Regierung in geradezu sklavischer Verehrung verbunden. Lang soll dafür verantwortlich sein, dass vier britische Staatsbürger in Pakistan entführt und vom amerikanischen Geheimdienst CIA gefoltert worden sind. Einer starb dabei, die anderen sitzen in Guantanamo Bay ein. Nun versteckt sich der Ex-Premier in den USA, da ihm wegen seiner Verwicklung in den Krieg gegen den Terror ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag droht.

Geschildert wird die Geschichte aus der Sicht eines englischen Auftragsschreibers, eines Ghostwriters, der in ein verborgenes Anwesen auf der Insel Martha's Vineyard vor der Atlantikküste eingeflogen wird, um dort die Memoiren des ehemaligen Regierungschefs zu Papier zu bringen. Der Vorgänger des Chronisten war unter mysteriösen Umständen ertrunken.

Der Buchtitel "Ghost" ist hier durchaus doppelsinnig zu lesen. Man weiß nicht genau, ob damit der Ghostwriter gemeint ist oder aber der Premierminister, der wie ein Zombie durch die Politik geistert.

Es ist Harris' erster Thriller, der in der Gegenwart spielt. Sein Debüt "Vaterland" handelte von einem fiktiven Hitlerdeutschland, das den Zweiten Weltkrieg gewonnen hat. Das Buch erschien 1992 in Großbritannien und wurde ein internationaler Bestseller. Da war Harris gerade 35 Jahre alt. Bislang hatte er als Hintergrund für seine Schilderungen von Machtkämpfen und Intrigen stets historische Schauplätze gewählt, wie das antike Rom für "Pompeji" und die stalinistische Sowjetunion für "Aurora". Doch bereits in "Imperium", dem Auftakt einer Trilogie über den römischen Advokaten Cicero, wollen interessierte Leser bei der Beschreibung der politischen Konstellationen Ähnlichkeiten mit der Erneuerung der Labour-Partei erkannt haben.

Seit Langem schon habe er über das Verhältnis zwischen einem Regierungschef und seinem Ghostwriter schreiben wollen, sagt Harris, der früher als Journalist gearbeitet hat. Mit der Eskalation des Irak-Krieges habe das Thema eine gewisse Dringlichkeit für ihn gewonnen. Im Januar hat er mit dem Schreiben begonnen, im Juli war das Manuskript druckreif. Zwischendurch hatte er seinen Schreibtisch sogar eine Weile verlassen müssen, um mit dem Regisseur Roman Polanski am Drehbuch von "Pompeji" zu arbeiten. Mittlerweile war Tony Blair zurückgetreten. Und pünktlich zum ersten Labour-Parteitag ohne Blair kam das Buch in Großbritannien heraus. Das nennt man Timing.

"Nennen Sie mir eine Entscheidung, die Adam Lang in den vergangenen zehn Jahren getroffen hat, die nicht im Interesse der USA war", sagt eine Romanfigur in "Ghost".
Für Harris ist das ein Schlüsselsatz; ein Satz, der seine eigene Enttäuschung widerspiegelt. Die Last der Fehler, vom Angriff auf den Irak 2003 bis zum Schweigen der britischen Regierung zu Israels Angriffen auf den Libanon im Sommer 2006, haben sein Vertrauen in die britische Außenpolitik zerstört.

Der Autor hat sich nicht viel Mühe gegeben, die fiktiven Figuren von ihren realen Vorbildern abzugrenzen, "ganz bewusst", wie er sagt. Seine Frau Gill, Schwester des Kollegen Nick Hornby, hatte ihm geraten, die Gattin des Premierministers als rothaarig zu beschreiben, damit sie sich weinigstens in dieser Hinsicht von Cherie Blair unterscheidet. Harris lehnte ab. Sein Buch soll als Satire auf die Blairs und das moderne Großbritannien zu lesen sein.

Das Ende der Freundschaft zwischen Blair und Harris kam schleichend. Einmal hatte der Premierminister noch einen Schritt auf den Schriftsteller zugemacht. Er hatte ihn zu einem Dinner in seinen Amtssitz Downing Street 10 eingeladen, im November 2003, "nach der Invasion, aber bevor alles den Bach runterging". Man war zu viert, Blair, Harris, die beiden Frauen. Cherie sei auf Chirac zu sprechen gekommen, den damaligen französischen Staatschef, der eine UN-Resolution zur Irak-Invasion boykottiert hatte, aber er, Blair, habe seine Frau unterbrochen, erinnert sich Harris. "Lass uns nicht über den Krieg sprechen, habe er gesagt. "Damit war das Thema erledigt." Zumindest an jenem Abend.

Doch Harris hatte nicht vor, sich die Meinung verbieten zu lassen. Immer wieder kritisierte er die Nähe des britischen Premierministers zum US-Establishment. Wenn Blair aus seiner Popularität auf der anderen Seite des Atlantiks Kapital schlage, folge er nur einer Tradition, die sich unter den Konservativen Margaret Thatcher und John Major eingebürgert habe. Die Nähe dieser Persönlichkeiten zu den USA sei ungesund. Wer wisse, dass er nach dem Ende seiner politischen Karriere in Großbritannien mit Jobs auf der anderen Seite des Atlantiks versorgt werde, mache sich verletzlich. "Ich frage mich, ob das nicht einen unbewussten Effekt auf die Außenpolitik hat, ob man nicht durch die persönliche Popularität in den USA gefesselt ist", sinniert Harris. Solche Sätze kommen in Großbritannien an, wo unter den Intellektuellen ein gewisser Anti-Amerikanismus heute mehr denn je gepflegt wird.

Dass Blair bald auf den Vortragszirkus in den USA aufspringen wird, steht für Harris außer Frage. Der Ex-Premier stehe mit fünf Millionen Pfund, umgerechnet etwa 7,5 Millionen Euro, in der Kreide, zitiert er Zeitungsberichte. Wegen seiner Immobilienkäufe. "In Großbritannien kann er niemals so viel Geld verdienen." Sein Fazit klingt bitter, wie sein Buch an manchen Stellen. Harris widerspricht. Es ist das einzige Mal, dass seine Stimme lauter wird. "Ich denke, ich habe ein mitfühlendes Bild gezeichnet. Er ist ein tragischer Mann, kein böser Mann", sagt er. Dann klingelt sein Telefon.

Hat er jetzt von Adam Lang oder Tony Blair gesprochen? Von sich oder dem Ghostwriter? Manchmal verschwimmen die Unterschiede. Als Journalist hatte er Blair als Hoffnungsträger der Labour-Partei und als politischen Seelenverwandten erlebt, jetzt nennt er ihn einen Egozentriker, einen Spieler, der die Bodenhaftung verloren hat. Blairs Entscheidung, mit dem Regierungsamt auch sein Mandat als Unterhausabgeordneter niederzulegen, spreche für seinen mangelnden Respekt vor dieser Institution. Blair sei ein Politiker der MTV-Generation. Heute Premier, morgen Nahost-Vermittler.

Harris bezweifelt, dass Blair erfolgreich sein kann bei seiner neuen Mission: "Das war doch nur eine goldene Uhr von George Bush, um ihm den Ausstieg zu erleichtern." Nicht für alles ist Blair persönlich verantwortlich, gibt Harris zu. Er sei auch ein Produkt des Medienzeitalters, in dem Image alles ist - und Inhalt nichts.

Britische Politiker seien durch einen Sicherheitsvorhang vom Alltag abgeschirmt, sagt Harris. "Gehen Sie mal nach Downing Street, mit seinen dreifachen Barrikaden. Es sieht aus, als lebe Stalin dort."

Harris war Blair einst so nahe, wie man als Journalist einem Politiker nur kommen konnte. Er hat den Aufstieg des gescheiten Anwalts aus konservativem Hause beobachtet. Als Redakteur der Sunday Times war Harris 1992 vom aufsteigenden Labour-Talent Blair zum Lunch eingeladen wurde. Man mochte sich, schien die politischen Überzeugungen zu teilen, blieb in Kontakt. Der Journalist wurde in den engsten Kreis der Modernisierer aufgenommen. Er bekam Einladungen nach Downing Street und auf den Landsitz Chequers. Vor zehn Jahren saß er im Wohnzimmer der Blairs, als Labour den historischen Wahlsieg einfuhr. "Trotzdem", beharrt Harris heute, "bin ich nie ein Cheerleader für Blair gewesen."

Was Blair von dem Buch hält? Harris erzählt von einer Begebenheit, die ihm zugetragen wurde. Tony Blair habe kürzlich einen Verleger getroffen, um die Veröffentlichung seiner Memoiren zu besprechen. Auf "Ghost" angesprochen, soll Blair nur die Augen verdreht haben. Die Chance auf einen Job als Ghostwriter hat Harris verspielt.
Berliner Zeitung, 16.10.2007

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